Herdorf

Herdorf im Wandel der Zeit

Ansicht Herdorf Sommer

Die Besiedlung des Herdorfer Raumes kann bis in vorgeschichtliche Zeiten zurückverfolgt werden. Amateurarchäologen entdeckten in den 1960er Jahren an mehreren Stätten im   Stadtgebiet keltische Verhüttungsplätze, so  unter  anderem  im südlichen  Bereich an den bewaldeten Hängen  zwischen  der   Malscheid   und   dem  Hohenseelbachskopf.  Nach Untersuchungen  der  rheinland-pfälzischen  Landesarchäologie  von  2011  werden  die Schlacken- und Keramikfunde dem Übergang  von  der  Späthallstatt-  zur  Frühlatènezeit  (6./5. Jahrhundert  v. Chr.)  zugeordnet.  Damit  wären  es die  ältesten  Fundstätten  der Eisengewinnung,  die  in  Rheinland-Pfalz   bisher  bekannt  wurden.   Allerdings  ist  die zeitliche Einordnung der Funde umstritten. Andere Archäologen rechnen sie der mittleren Latènezeit um das 3. Jahrhundert v. Chr. zu. 

Nach der Geschichtsforschung  des  Altertums  rückten  in  den folgenden Jahrhunderten germanische Stämme von  Norden  vor  und  verdrängten  die  Kelten.  Erste  urkundliche Erwähnungen unseres Heimatraumes stammen aus der fränkischen Zeit. Der König des ostfränkischen Reiches, Konrad I. schenkte im Jahre 914 die Kirche zu „Heigere“ (Haiger) mit den angrenzenden Gebieten dem Stift Weilburg. Die Abgrenzung dieses Gebietes wird in einer späteren Urkunde aus dem Jahre 1048  beschrieben.  Der  Haigergau  erstreckte sich  danach  vom  Dietzhölztal  über  weite  Teile  des  Westerwaldes  und  des  südlichen Siegerlandes bis in den heutigen Kreis Altenkirchen in die Nähe der Stadt Wissen. Er war als „praedium liberorum virorum“ – Land der freien Männer- beschrieben. Im Gegensatz zu Leibeigenen unterstanden die  Bauern  und  der  niedere  Adel  in  solchen  Gegenden  im  frühen Mittelalter nicht den Landesfürsten, sondern unmittelbar dem König und  genossen  Priviliegien.  Insbesondere  der  niedere  Adel  konnte  dadurch  -sehr  zum  Argwohn  der Landesfürsten- erheblichen Einfluss gewinnen. Auch heute wird  die  Bezeichnung  „Freier Grund“ noch verwandt, sie beschränkt sich aber seit dem Ausgang des Mittelalters auf das Gebiet der Siegerländer Gemeinden Neunkirchen und Burbach.

Die ältere Geschichtsforschung leitete aus dem Namen des Berges „Malscheid“ (früher Malsch) und der zentralen Lage innerhalb des Haigergaues ab, dass sich hier eine Zeit lang die Versammlungs- und Gerichtsstätte („Malstätte“) befunden haben soll. Konkrete Nachweise fehlen dafür aber. Einen weiteren Hinweis auf eine frühe Existenz des Ortes sieht man in der seit altersher vorhandenen Flurbezeichnung „Königsmauer“.  In diesem alten Ortskern soll sich in karolingischer Zeit eine königliche Mautstelle befunden haben. Auch dies kann aber nicht belegt werden. Allerdings besaß dieser Bereich in späteren Jahrhunderten eine besondere Stellung, wie später noch ausgeführt wird. 

Ausschnitt aus einer historischen Karte zum Siegener Urkundenbuch bis 1350 von Dr. F. Philippi, 1887

Die Herrschaft über den Haigergau ging mit dem Ende  der  konradinischen  Linie  im  11. Jahrhundert an die Pfalzgrafen über   Nun  erscheint  ein  Westerwälder  Adelsgeschlecht, die Herren von Molsberg, als Lehensträger.  Mit zunehmender Besiedlung sowie häufiger Aufteilung und Weitergabe der  Lehen an den niederen Adel  erlangen die  einzelnen Orte  im  Laufe  des  12. Jahrhunderts  größeren Einfluss, so dass das Gauterritorium rasch an Bedeutung verliert. So erhielten die Herren von Seelbach die Gerichtsbarkeit  im  „Grunde  Seelbach“  (Freier  Grund);  weitere  Edelleute  (u.a. Greifensteiner,  Bicken) erkauften sich den Besitz anderer Ortschaften. Nach dem  Untergang  des  Molsberger  Geschlechts  im  14. Jahrhundert  übernahmen  die  Häuser  Nassau  und Sayn die Herrschaft in unserem Raum.  In zahlreichen Orten verfügten beide  Adelsfamilien jeweils über  Besitztümer und  Leibeigene,  so dass es häufig zu Streitigkeiten kam. Über Jahrhunderte  versuchten  sie,  ihren Einflussbereich  zu Lasten des jeweiligen Kontrahenten auszuweiten.

In diese Zeit fällt auch die erste urkundliche Erwähnung Herdorfs im Jahre 1344. Damals gehörte  den  Herren  von  Bicken (in der Nähe von Herborn),  die  in  verwandschaftlichen  Beziehungen  zu  den Seelbachern standen und zahlreiche, weit verstreute Güter besaßen, der Zehnte zu Herdorf. Aus dem Bicken’schen Mannbuch, einem Lehensverzeichnis, ist zu entnehmen,  dass  sie ihren Herdorfer  Zehnten  zur  Hälfte  an  Volprecht von Selbach und weitere Anteile an die Herren von Schelte und an Wilhelm von  Amelsdorf  verliehen hatten. Im Laufe der folgenden Jahrhunderte wechselte der Lehensbesitz häufig. 

Im Jahre 1350 „begnadigt“ Graf Johann von Sayn die Ganerben (eine Erbengemeinschaft) von Seelbach in einer Urkunde mit  dem  Gebirge  „Malsch“  (Malscheid),  wo  sie die Burg „Hoynselbach“ errichten  sollen  und  mit einem  „Burgfrieden“  (Hoheitsbereich), der weite Teile des heutigen Herdorf (rechts des „Sichterbaches“ – Sottersbach  und links der Heller aufwärts bis zum  „Gericht Seelbach“)  umfasst.  Nur  zwei  Jahre  später mussten sich die Ganerben  aber  dem  Trierer  Erzbischof  Balduin  unterwerfen,  der die wohl noch im Bau stehende Burg wegen angeblichen Raubrittertums der Seelbacher belagern und zerstören ließ.

Traditionell bilden Bäche und Flüsse im Mittelalter  die bevorzugten Grenzlinien.  Herdorf erscheint daher auch in dieser Zeit nicht als einheitliches  Gebilde.  Unter der  Herrschaft  der Grafen von Sayn war der Ortsteil rechts  der  Heller  dem Amt  und  Gericht  Freusburg zugeordnet. In kirchlicher Hinsicht gehörte dieser Bereich zum Kirchspiel Kirchen. Auf der linken Hellerseite ging es etwas komplizierter zu.  Hier waren die Einwohner dem Gericht Friedewald zugeteilt und gehörten zum Daadener Kirchspiel.  Ihre  Steuern  und  Abgaben mussten sie aber nach Freusburg leisten. Einen besonderen Status besaß das ebenfalls auf der linken Hellerseite gelegene Gebiet der  „Königsmauer“,  das  als  Allodium  (freier Grundbesitz, für den keine Steuern an den Landesfürsten zu entrichten  waren)  ebenfalls zum Amt Friedewald und Kirchspiel Daaden gehörte. Diese Dreiteilung Herdorfs spiegelt sich auch im heutigen Wappen der Stadt wider.

In den Jahren  von 1652 – 1671  kam  es  zur  Teilung  der  Grafschaft  Sayn  in die Häuser Sayn-Altenkirchen und Sayn-Hachenburg. Herdorf gehörte nun zu  Sayn-Altenkirchen,  das aus den Ämtern Altenkirchen, Friedewald, Freusburg und Bendorf bestand. Die Grafschaft war zunächst im Besitz der Herzöge von Sachsen-Eisenach, kam dann an die Markgrafen von Brandenburg-Ansbach (ab 1741), mit der Markgrafschaft  an  Preußen  (ab 1791),  als Entschädigung an Nassau-Usingen (ab 1802/1803) und drei Jahre später (1806)  an das vereinigte Herzogtum Nassau. Mit Ausnahme von Bendorf  wurde aus der Grafschaft 1815  der Kreis Altenkirchen gebildet;  er gehörte dem preußischen  Regierungsbezirk  Koblenz  und der späteren Rheinprovinz des Königsreichs Preußen bis zur Neuordnung nach dem Zweiten Weltkrieg an.  1946 erfolgte die Eingliederung in das neu  gebildete  Bundesland Rheinland-Pfalz.

Mit der Bildung des Kreises Altenkirchen kam Herdorf zum Amt Daaden. Jahrzehntelange intensive Bemühungen, eigenständig zu werden, blieben  zunächst  ohne  Ergebnis.  Erst   im Jahre 1955 wurde zusammen mit den Nachbargemeinden  Dermbach  (Amt Kirchen) und Sassenroth (Amt Betzdorf)  die amtsfreie Gemeinde Herdorf gebildet. Rund 25 Jahre später erhielt Herdorf dann am 24. Januar 1981 auf  Beschluß  der  Landesregierung  die Bezeichnung „Stadt“.

Der kommunalen Selbständigkeit konnte sich die Stadt aber nur wenige Jahrzehnte lang erfreuen. Im Zuge der rheinland.pfälzischen Kommunal- und Verwaltungsreform wurde die einzige verbandsfreie Gemeinde des Kreises Altenkirchen zum 1. Juli 2014 in die Verbandsgemeinde Daaden zwangsweise eingegliedert. Eine dagegen gerichtete Klage der Stadt verwarf der rheinland-pfälzische Verfassungsgerichtshof im März 2016. Neben den  schon  über  Jahrhunderte bestehenden engen Beziehungen zum Freien Grund, ist die junge Stadt auch  heute  noch  mit  ihren  nordrhein-westfälischen Nachbarn aufs Engste verflochten. Abgesehen davon, dass  zahlreiche  verwandschaftliche Beziehungen bestehen und durch die zusammengewachsende  Bebauung  keine  Grenze mehr optisch wahrnehmbar ist, finden auch rund 60 Prozent der Herdorfer Auspendler dort ihren Arbeitsplatz.

Bergbau und Hüttenwesen prägten über Jahrunderte das Bild Herdorfs. Bereits 1471  werden erste Hütten urkundlich erwähnt. Mit dem Bau  der  Eisenbahnlinie Köln – Gießen  und deren Inbetriebnahme begann ab 1861  ein  wirtschaftlicher  Aufstieg.  Während  die Einwohnerzahl im Jahre 1860 noch  bei  875  lag,  stieg sie in den folgenden fünf Jahren um mehr als das Dreifache an. Mehr als 20 Eisenerzgruben waren um 1870 in Betrieb.  Bis 1910 war Herdorf auf 4500 Einwohner angewachsen. Erst mit dem Rückgang dieser Wirtschaftszweige vollzog sich ab 1960 ein tiefgreifender industrieller Wandel. Neue Gewerbebetriebe im Bereich der metallverarbeitenden Industrie und der Automobilzulieferer wurden angesiedelt.   Bestehende  Unternehmen passten sich den neuen Märkten an und  zahlreiche kleine und mittlere Unternehmen des Produktions- und Dienstleistungsbereichs entstanden in neu erschlossenen Gewerbegebieten.

Industrie und Handel bieten heute den knapp 7.000 Einwohnern Herdorfs rund 1.600 Arbeitsplätze.