Am Karfreitag vor 80 Jahren war der Krieg zu Ende
Von schweren Luftangriffen, wie sie andere Orte erlebten, blieb Herdorf verschont

Der vorliegende Beitrag basiert auf den Berichten von Alfons Reifenrath, der zu der Zeit Totengräber war, und Alois Schlosser, der von den amerikanischen Besatzungstruppen zum ersten Bürgermeister nach dem Krieg ernannt wurde.
Als amerikanischen Truppen am 7. März 1945 der Rheinübergang bei Remagen gelang, war auch den Menschen in unserer Heimat klar, dass das Ende des Tausendjährigen Reichs bevorstand. Nur die allergrößten Fanatiker glaubten noch den Parolen des Propagandaministers Joseph Goebbels. Ab Mitte März brachte der deutsche Rundfunk nur noch Meldungen über erfolgreiche Absetzbewegungen. Wer einigermaßen richtig informiert sein wollte, musste den BBC oder den Soldatensender Calais hören. Zeitungen gab es schon seit Wochen nicht mehr und deren Artikel gaben selbstredend nur das wieder, was die Partei an Durchhalteparolen vorgab.
Von ähnlich schweren Luftangriffen, wie sie Betzdorf, Wissen oder Neunkirchen erlebten, blieb Herdorf verschont. Nicht jedoch von letzten Kampfhandlungen Ende März 1945. Am Montag, den 26. März 1945 wurde die Räumung Herdorfs von der Zivilbevölkerung angeordnet. Der Gemeindediener Heinrich Patt zog mit seiner Schelle durch das Dorf und informierte die Menschen über den Befehl der Kreisparteileitung sich auf den Weg nach Frankenberg an der Eder zu machen. „Herdorf muss bis Mitternacht von allen Personen restlos geräumt werden. Wer hier bleibt, wird als ‚Sabbadör‘ behandelt.“ Von den Einwohnern gefragt, was er denn machen würde, antwortete Patt´s Henner „Eschbleäwen he.“
Die ganze Nacht waren die Straßen belebt und die Menschen brachten auf Wagen und Karren Teile ihrer Habe in den Bergwerken der nächsten Umgebung in Sicherheit. Manche hatten sich in den Bergen und Taleinschnitten der Umgebung Nothütten gebaut, in die sie sich zurückzogen. Dem Evakuierungsbefehl folgten nur ganz wenige. Am folgenden Tag, Dienstag, den 27. März 1945, herrschte angespannte Ruhe im Ort. Von der unmittelbaren Nähe der Frontlinie, diese befand sich mittlerweile in Daaden-Biersdorf, war noch nichts zu spüren. Man ging davon aus, dass die Alliierten aus dem Raum Betzdorf ins Hellertal vorstoßen würden. Auch deutsches Militär zeigte sich kaum, was sicherlich der regen feindlichen Fliegertätigkeit geschuldet war. Mittwochs kam eine kleine deutsche Nachhut mit fünf Panzerabwehrkanonen ins Dorf.
Auf den beiden Kirchtürmen wehten weiße Fahnen. Diese waren von Unbekannten ausgehängt worden, als man mit dem Nachrücken deutscher Truppen nicht mehr rechnete. Zwar waren die Fahnen an den Kirchtürmen schnell wieder eingeholt worden, jedoch wehte am Kreuz auf der Ley noch immer eine weiße Fahne. Diese wurde von den deutschen Soldaten durch Schnellfeuer heruntergeschossen. Ebenso bekämpfte man alliierte Aufklärungsflugzeuge. Amerikanische Truppen waren bis auf Höhe der Gruben San Fernando und Friedrich-Wilhelm durch das Sottersbachtal Richtung Herdorf vorgerückt. Gegen Mittag rückte die deutsche Artillerie, die keine Munition mehr hatte, Richtung Eiserfeld-Siegen ab. Etwa 25 deutsche Soldaten, die von einem Ritterkreuzträger kommandiert wurde, besetzten daraufhin einige Punkte im Dorf und kamen alsbald in Feindberührung.
Die Amerikaner kamen bis „auf die Triescher“, die Straße nach Daaden zu, etwa auf Höhe der heutigen Bushaltestelle am Glockenfeld. Hier wurden sie beschossen, kehrten um und sammelten sich auf Friedrich-Wilhelm. Spätestens jetzt versuchten auch die verbliebenen Einwohnersich so gut es ging in Sicherheit zu bringen. In der Nacht kamen etwa 300 deutsche Soldaten zur Verstärkung heran. Acht Mann davon waren von Wehbach, der überwiegende Teil gehörte dem Volkssturm an und kam aus dem Raum Leverkusen.
Am Gründonnerstag, den 29. März 1945, kam es zu heftigen Gefechten zwischen deutschen und amerikanischen Einheiten am Glockenfeld, im Strutwald und der Hellerstraße. Der Ritterkreuzträger sandte einen Spähtrupp von vier Mann in Richtung Josefshäuschen. Dort lagen etwa 40 Amerikaner in Stellung. Der Spähtrupp griff mit Unterstützung eines Drillingsgeschützes die feindliche Stellung an, musste den ungleichen Kampf aber bald aufgeben, als amerikanisches Artilleriefeuer einsetzte. Die Artillerie belegte das Glockenfeld und die Sottersbachgasse mit Streufeuer und brachte eine Anzahl von Häusern mit Brandgranaten zum Brennen. In der Sottersbachstraße wurden die Häuser Paul Stinner, Gregor Schlosser, Alois Gerhardus, Vinzenz Wisser und Witwe Schmidt getroffen. Im Bornseifen brannte das Haus von Gustav Linke nach Granattreffer nieder, das von der Witwe Röhlich gelöscht werden konnte.
Auch die steilen Waldberge rechts der Heller wurden mit Artillerie beschossen. Durch unmittelbar daneben bzw. davor und darüber liegendes Artilleriefeuer gerieten die Insassen des Stollens „Zufällig Glück“, Hellerstraße, in große Gefahr, da man den Stollenmund nicht geschützt hatte. Der Stollen war maßlos überfüllt, ein Verlassen zu dem Zeitpunkt nicht mehr möglich. Hier harrten die Menschen schon seit 36 Stunden aus. Für hygienische Einrichtungen, Licht und dergleichen war keinerlei Vorsorge getroffen worden. Dies traf bei den meisten übrigen Stollen und Bunkern ebenso zu.
Nachmittags kam ein amerikanischer Panzer das Bähnchen herunter, gefolgt von Infanterie. Für die im Bunker am Bähnchen ausharrenden Zivilisten wurde es jetzt nochmal gefährlich, als einer der amerikanischen Soldaten verwundet wurde und versuchte, im Bunker Schutz zu suchen. Bei dem Versuch wurde auch der Bunkereingang beschossen. Langsam ebbten die Kämpfe ab und die letzten deutschen Truppen setzten sich ab. Amerikanische Infanterie durchsuchte die Häuser und folgten dem Panzer weiter Richtung Ortsmitte. Gegen vier Uhr nachmittags gaben die letzten deutschen Nachhutkräfte den Kampf auf. Der Krieg war vorbei!
Bis zum Abend verließen die Menschen die Stollen und Notunterkünfte, kehrten aber für die Nacht wieder dorthin zurück, da man Angst vor deutschen Gegenangriffen hatte. Am Karfreitag, den 30. März 1945, rückten dann weitere starke amerikanische Kräfte nach Herdorf nach und richteten in der Gastwirtschaft Loeb ihre Kommandantur ein. Die amerikanische Artillerie bezog rechts der Bahngleise in der Friedrichstraße Stellung und beschoss von dort aus Tage und Nächte die deutschen Truppen, die Richtung Eiserfeld-Siegen abzogen.
Traurige Bilanz dieser letzten Kämpfe in Herdorf: auf deutscher Seite zählte man neben Verwundeten acht tote Soldaten und neun Zivilisten. Die Sterblichkeit in dieser Zeit war außerordentlich groß. Im Jahr 1945 gab es 136 Beerdigungen statt durchschnittlich 50. Unter den 136 Toten des Jahres waren 48 Kinder statt sonst acht. In vier Wochen um Ostern 1945 waren es 46 Beerdigungen, etwa so viel wie im ganzen Jahr 1949 zusammen. Mögen uns diese letzten Tage im März 1945 Erinnerung und Mahnung zugleich sein.