Hüttenwesen

Geschichte der Herdorfer Hütten

Bergbau und Hüttenwesen haben Herdorf über Jahrhunderte geprägt und lassen sich über Schlacken- und Scherbenfunde zurück bis in die Latènezeit  nachweisen. An zahlreichen  Stellen  im  Stadtgebiet  wurden in  den  1960er  Jahren  sowohl  latènezeitliche  als  auch mittelalterliche Verhüttungsplätze entdeckt.  Unter Archäologen ist umstritten, ob die älteren Funde dem Übergang von der Späthallstatt- zur Frühlatènezeit (6./5. Jahrh. v. Chr.) oder der Mittellatène (um 3. Jahrh. v. Chr.) zuzuordnen sind.

Für das ausgehende Mittelalter finden sich erste schriftliche Belege in einer Rechnung der Herrschaft Freusburg aus dem Jahre 1471 über die eingenommenen „Hüttenzinsen“. Unter den  insgesamt  14   aufgelisteten  Hütten  finden  sich  auch  „Herdoerff“  und  „Derenbach“ (Dermbach). Zudem weist eine Steuerschätzung von 1437 bereits „Hüttenzinsen“ und  den  „Zehnten  von  den  Bergen“  zwar ohne Ortsangaben, aber in einer ähnlichen finanziellen Größenordnung  auf,  so  dass  zumindest  für  das  15.  Jahrhundert  schon  von  einem beständigen Bergbau und Hüttenwesen in der Grafschaft Sayn ausgegangen werden kann. Ein weiteres Indiz hierfür liefert  eine  Urkunde  aus  dem  Jahre  1370,  in  der  eine Hütte im benachbarten Schutzbach erwähnt wurde.

Alte Herdorfer Hütte um 1900

Wo sich die genauen Standorte der Hütten   im ausgehenden Mittelalter in Herdorf und Dermbach  befanden,  lässt  sich  den Schriftstücken nicht entnehmen. Auch in   einer späteren Aufstellung aus dem Jahre 1529  werden  lediglich  die  Ortsnamen aufgeführt. Vielfach wird angenommen, dass es sich um die aus  späteren Zeiten bekannte „Alte Herdorfer  Hütte“  an  der Heller und die „Seelenberger  Hütte“  am  Dermbach gehandelt  haben  soll. Bei den häufig auftretenden Veränderungen jener Jahrhunderte wird man dies aber nicht ohne weiteres annehmen können.  Aus einem Repertorium Sayn-Altenkirchener Bergwerksakten ist für das Jahr 1610 eine „Strittigkeit“ von Herdorfer und Dermbacher Hüttengewerken gegen die Gewerken der Seelenberger Hütte wegen einer neuen Hütte bekannt. Die drei Gewerkschaften müssen daher auch zu diesem Zeitpunkt nebeneinander bestanden haben, so dass sich schon daraus die Existenz von drei Hütten ableiten lässt. Für 1669 ist dem Verzeichnis zu entnehmen, dass „einigen Herdorfern die Erbauung einer Eisenhütte vergünstigt“ wurde. Leider fehlen in beiden Fällen detaillierte Unterlagen, so dass die genauen Standorte der Hütten offen bleiben. Für  Herdorf  sind daneben auch Bodenfunde im unteren Sottersbachtal bekannt, die auf eine mittelalterliche Verhüttungstätigkeit schließen lassen. Für einen frühen Zeitpunkt belegbar ist lediglich der Standort der Seelenberger Hütte, die 1579 in einer nassauischen Grenzbeschreibung erstmals erwähnt wird. Sechs Jahre zuvor war eine bereits eingegangene und wieder neu errichtete Hütte in Herdorf erwähnt worden, leider auch ohne Standortangaben.

Die Hütten in der Grafschaft Sayn-Altenkirchen durften nach einer Hüttenordnung aus dem Jahre 1603 grundsätzlich nur über acht Wochen im Jahr betrieben werden, um den für die Verhüttung notwendigen Holzbedarf zu begrenzen.  Unter günstigen Bedingungen (z.B. bei entsprechendem Brennstoffvorrat)  erlaubten die Landesherren aber oft eine Verlängerung dieser Betriebszeiten. Der Seelenberger Hütte war dagegen eine doppelte Betriebszeit von 16 Wochen gestattet, wobei lange Zeit offen war, ab welchem Zeitraum diese Regelung galt. Inzwischen belegen im nordrhein-westfälischen Landesarchiv vorhandene Dokumente, dass die Dermbacher Hütte um 1718/19 aufgegeben und mit der Seelenberger Hütte zusammengelegt wurde.

Von den jahrhundertelang bestehenden Rivalitäten der Grafenhäuser Sayn und Nassau blieb auch die im Grenzgebiet  liegende  Hütte  nicht  verschont. So wird 1719 von Streitigkeiten über Wasserrechte berichtet, da die Seelenberger in trockenen Zeiten auch das Wasser des Herzbaches zum Betrieb des Blasebalges mit nutzten und es dadurch zu Einschränkungen auf den Bergwerken im Kunstertal kam. Im Laufe der Jahrhunderte kam es auch im Bereich der Hütte mehrmals zu Grenzkorrekturen.

Lageplan Seelenberger Hütte von 1778

Bei den ausgedehnten Betriebszeiten und den nahegelegenen zahlreichen Gruben lagen die Seelenberger Hüttengewerken mit einer Jahresproduktion von 1.017 to Eisen im Jahre 1801 auch an der Spitze aller freusburgischen Hütten; die Herdorfer Hütte brachte es auf 574 to. Nach damaligen Berechnungen  waren  2,4 to Erze und 1,25 to Holzkohle notwendig, um eine Tonne Eisen zu erzeugen.

Auf der Seelenberger Hütte wurde der Betrieb 1901 eingestellt, nachdem man beim Versuch, Schlacken- und Eisenreste wegzusprengen, auch den Hochofen und die Gießhalle schwer beschädigte und die Gewerken offenbar nicht mehr das nötige Kapital zum Wiederaufbau besaßen.

Die nur rund einen Kilometer entfernt liegende Alte Herdorfer Hütte wurde mit der fortschreitenden technischen Entwicklung im 19. Jahrhundert modernisiert. Nachdem über lange Zeit der von Wasserkraft betriebene Blasebalg den Wind zum Betrieb des Hochofens geliefert hatte, kam 1845 ein Dampfgebläse zum Einsatz. Wenige Jahre später folgte ein mit Gichtgas betriebener Heißwindapparat, der es ermöglichte, die Luft mit einer Temperatur von 100 – 200 °C in den Ofen zu blasen. Wurden im Jahr 1800 noch 4 Tonnen Roheisen täglich erzeugt, lag die Tagesproduktion 1862 bereits bei 16 to.  Mit dem Anschluss an die 1862 eingerichtete Eisenbahnlinie verdrängte der Koks in den kommenden Jahren die Holzkohle und machte es den Gewerken möglich, ihren Ofen nicht nur über die 48 privilegierten Hüttentage, sondern letztlich ganzjährig zu betreiben. 1862 wurde der Hochofen der Alten Herdorfer Hütte über 120 Tage und 1866 bereits über 203 Tage betrieben, wodurch der Hüttenbetrieb wesentlich wirtschaftlicher gestaltet werden konnte.

Alte Hütte und Friedrichshütte um 1900

1853 beteiligte sich der Neunkirchener Unternehmer  Heinrich  Daniel  Friedrich Schneider an der Alten Herdorfer Hütte und erwarb zwei Jahre später auch die Grube San Fernando. Da die bestehende Hütte nicht mehr den  steigenden  Anforderungen  genügte, plante er einen Neubau und erhielt 1871 die Konzession zum Bau der Friedrichshütte. Sie lag der  Alten  Hütte  gegenüber  und  grenzte unmittelbar an die 1862 in Betrieb gegangene Eisenbahnlinie. Der gemeinsame Standort war lediglich durch eine Straße geteilt. Drei Jahre später konnte der erste Hochofen angeblasen werden, 1883 folgte der zweite Ofen. 1896  kam  es  zur  Umwandlung  der  Friedrichshütte  in  die  „Bergbau- und Hütten-AG Friedrichshütte“. Grube und Hütte wurden damit unter einem Firmendach betrieben. Vier Jahre später wird die Wehbacher Hütte angegliedert und 1914 schließlich die Alte Herdorfer Hütte übernommen.

Nach dem Ersten Weltkrieg erlebte die Hütte nach einer umfassenden Modernisierung der Anlagen einen bedeutenden wirtschaftlichen Aufschwung, zusammen  mit  dem  Werk  in Wehbach wurden über 2000 Arbeitnehmer beschäftigt. In den Jahren 1918/19 wurde eine Seilbahn zum nahegelegenen Stahlertskopf gebaut, wo der aus dem Produktionsbetrieb anfallende Schlackensand abgelagert wurde. Diese Sandhalde bildet auch heute noch einen markanten Punkt im Herdorfer Stadtbild. 

Friedrichshütte um 1915 – Foto Peter Weller (1868-1940)

1947  war  die  Friedrichshütte  als  erstes  Siegerländer Hochofenwerk nach dem Zweiten Weltkrieg wieder in Betrieb.  Im Zuge der Umgestaltung der deutschen Stahlindustrie durch die alliierten Siegermächte  wurde sie 1952 eine Tochtergesellschaft der Hüttenwerke Siegerland AG.                              

Zusammen mit den Bergwerken war sie noch  zwei weitere Jahrzehnte der bedeutendste Arbeitgeber  in  Herdorf.  Die  Strukturkrise  der Montanindustrie  in  den  1960er  Jahren besiegelte aber auch ihr Schicksal. Mit dem letzten Hochofenabstich am 30. August 1968 endete nach über 500 Jahren die Eisen- und Stahlproduktion im Hellertal.

Heute befinden sich auf dem ehemaligen Hüttengelände Einkaufsmärkte sowie Wohn- und Geschäftshäuser. Geblieben  ist  das  noch  von  der  Friedrichshütte  1953/54 errichtete Hüttenhaus. Das Theatergebäude wurde nach Einstellung des Hüttenbetriebs von der Stadt erworben und wird von ihr als kultureller Mittelpunkt für die Region erhalten.

Literatur:

Kipping, O. (1978): Geschichte des Grenzraumes Siegerland-Westerwald, Druckerei Hachenburg GmbH, Hachenburg

Schwindt, K. (1955): Die Alte Herdorfer Hütte durch die Jahrhunderte, Friedrichshütte AG, Herdorf

Gotthardt, A, (2015): Der Seelenberg in Herdorf – früher und heute